Skip to main content

2023 war ein bewegtes Jahr. Während die Katastrophen dieser Welt laut und unübersehbar über uns hereinbrechen, ist eine weitere Krise in unserem Land sehr spürbar: Unsere “Bildungsrepublik” ist in Gefahr!

Falls daran noch Zweifel bestanden, sollten die Ergebnisse der Pisa-Studie vom 5.12.2023 diese ausgeräumt haben. Deutschland schneidet so schlecht ab, wie noch nie! Die Kompetenzen im Bereich Lesen und Mathematik sind drastisch abgefallen. Auch ist der Anteil der besonders Leistungsschwachen gestiegen. Als Gründe werden die Nachwehen der Pandemie, steigende Angst und mangelnde Freude und Interesse am Lernen genannt.

Dabei gibt es viele motivierte Lehrerinnen und Lehrer, engagierte Eltern und Bildungspolitiker:innen, die jeden Tag mit vollem Einsatz dabei sind, den Kindern und Jugendlichen in Deutschland, mit Freude und Elan, Wissen zu vermitteln. Aber das reicht nicht, um für die nächsten Jahre gerüstet zu sein!

Wo stehen wir, was macht Mut und wo besteht Handlungsbedarf, um die Bildungsrepublik 2024 zum Leben zu erwecken und ein weiteres Pisa-Fiasko zu verhindern?

Die Bildungspolitik 2023 in Zahlen

  • 25 Pisa-Punkte Rückgang im Fach Mathematik kosten Deutschland laut ifo Institut langfristig rund 14 Billionen Euro an Wirtschaftsleistung.
  • Die Bildungsrendite in Deutschland beträgt 10 – 13 %. Investitionen in Bildung liegen somit deutlich über Investitionen in den Kapitalmarkt.
  • 14.500 Lehrkräfte fehlen bereits heute in deutschen Schulen. 2035 werden es laut GEW bis zu 100.000 fehlende Lehrkräfte sein.
  • 12 Millionen Schüler:innen werden bis 2035 in unserem Bildungssystem sein, über 40 % mit Zuwanderungsgeschichte.
  • 800 Millionen Euro will die Bundesregierung im Jahr 2024 weniger für Bildung ausgeben.
  • 2 Milliarden über 10 Jahre sollen strukturschwache Schulen von Bund und Ländern über das Startchancen-Programm bekommen.

Was macht mir Mut?

Das Startchancen-Programm

2 Milliarden für Schulen in sozial benachteiligten Regionen von Bund und Ländern. Diese Investition ist dringend notwendig, denn Studien zeigen immer wieder: Bildung ist noch zu stark an die soziale Herkunft gekoppelt. Dabei ist Bildung gleichzeitig eines der effektivsten Mittel gegen Armut. Das Startchancen-Programm ist somit aus drei Gründen eine wirklich wichtige Investition in unsere Zukunft:

  • Die Investitionsbereitschaft in Milliardenhöhe für Schulen sendet ein wichtiges Signal. Sie zeigt: Die Regierung ist bereit, in die Zukunft unseres Landes zu investieren!
  • Die Ausgaben werden wissenschaftlich begleitet. Somit wird sichergestellt, dass das Geld effektiv investiert wird.
  • Die geförderten Schulen haben einen Modell-Charakter, von dem wiederum andere Schulen lernen können. Eine Praxis, die u.a. in Neuseeland schon längst üblich ist: neue Konzepte testen und Erfolgreiches kopieren!

Das Startchancen-Programm stellt vor allem eines sicher: dass Kinder den Anschluss an Basiskompetenzen, wie Lesen und Schreiben nicht verlieren. Das ist eine wichtige Pflicht. Die Kür ist es jedoch noch lange nicht.

Leuchtturm-Schulen: Gewinner Deutscher Schulpreis 2023

Der Wissensaustausch zwischen Schulen ist immer noch zu beschränkt. Das liegt teilweise an unserem föderalen System, gleichzeitig darf eben dieses nicht immer als Ausrede herhalten. In Neuseeland oder Schweden ist es üblich, dass erfolgreiche Schulmodelle untersucht und kopiert werden. Warum nicht auch hier?

Der Deutsche Schulpreis der Robert Bosch Stiftung ist eine dieser wichtigen Initiativen, in denen gelungene Konzepte ausgewählt und sichtbar gemacht werden. An den Gewinnern des Jahres 2023 hat mich Folgendes beeindruckt:

  • Die Mittelschule Erlangen hat es mit 69 % der Kinder mit Migrationsgeschichte geschafft, durch innovative Mathematikräume, in denen Experimente zum Alltag gehören, das Angst-Fach Mathematik für viele in ein Lieblingsfach zu verwandeln
  • Die ITECH Schule in Hamburg macht das, was eigentlich alle Schulen machen sollten: sie bereitet ihre Schülerinnen und Schüler durch prozessorientiertes Lernen auf die echte Welt “dort draußen” vor. Der Fokus geht weg vom Inhalt, hin zur Methode. So können junge Menschen auch in einer Welt, die sich stetig verändert, immer weiter lernen.
  • Individualisierte Leistungskontrollen, regelmäßige Feedbackgespräche zum Lernfortschritt und digitale Lernangebote sind an vielen Schulen noch Wunschdenken. Die Grundschule im Dichterviertel in Mühlheim an der Ruhr unterstützt mit diesen Mitteln Kinder in einer Gegend mit überproportional hohem SGB-II Bezug.

Alle diese Leuchttürme machen deutlich: Es gibt sie, die Schulen, die Lehrerinnen, die Lehrer, die den Unterschied machen. Und, viel wichtiger: Wir können von ihnen lernen!

Schule im Aufbruch: Der FREI-Day

Die Bildungsorganisation für transformative Bildung “Schule im Aufbruch” hat mich zutiefst beeindruckt. Sie treibt genau das voran, was wir dringend brauchen: den Willen, eingefahrene Strukturen aufzubrechen. Denn bloß “weil wir Schule schon immer so gemacht haben”, heißt das nicht, dass sie immer noch so sein muss.

Ganz besonders lobenswert ist das Konzept des “FREI-Day”. Bei diesem gehen Kinder und Jugendliche sogenannten Zukunftsfragen auf den Grund. Besonders in Zeiten, in denen sich junge Menschen oft hilflos fühlen, ermöglicht diese Initiative Kindern, sich mit den Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Wie könnte man besser die Problemlöser von morgen aufbauen und Kindern ein Gefühl von Selbstwirksamkeit mitgeben?

Die Initiative lässt sich übrigens zusammen mit Partnerorganisationen von “Schule im Aufbruch” an jeder Schule einführen.

Wo besteht Handlungsbedarf?

Bei all diesen großartigen Initiativen blicke ich dennoch besorgt auf die Gesamtentwicklung des Bildungssystems in Deutschland. Es gibt zu viele Baustellen, um diese alle aufzuführen, daher fokussieren wir uns auf die drei Themenfelder, in denen meines Erachtens der dringendste Handlungsbedarf besteht.

Lehrkräfte-Mangel

Meine größte Hochachtung gilt den Lehrerinnen und Lehrern, die sich jeden Tag aufs Neue für ihre Schülerinnen und Schüler engagieren. Wir alle wissen, welchen Unterschied ein guter Lehrer oder Lehrerin im Leben eines Kindes machen kann.

Dabei kann selbst die ambitionierteste Lehrerin keinen Unterschied mehr machen, wenn sie vollkommen überlastet für drei Kolleg:innen einspringen muss. Schon jetzt kommen Lehrerinnen und Lehrer kaum hinterher und die Lage spitzt sich zu: 100.000 Lehrende fehlen uns in Deutschland bis 2035.

Wir brauchen daher dringend Maßnahmen, um diesem Trend entgegenzuwirken. Dazu gibt es bereits viele wichtige Gedanken, wie Prämien für engagierte Lehrerinnen und Lehrer, aber noch stehen zu wenig Lösungsvorschläge im Raum.

Ein weiterer Weg, wie man dem dramatischen Mangel entgegenwirken kann: eine deutschlandweite Image-Kampagne für den Lehrberuf! Wenn man in Finnland fragt, welchen Beruf der zukünftige Partner oder die Partnerin haben sollte, ist die häufigste Antwort: Lehrer:in. In Deutschland hängen diesem Beruf negative Stereotype an. Viele junge Menschen sind u.a. deswegen zögerlich, wenn sie überlegen, ob sie Lehrerin oder Lehrer werden wollen. Der Beruf erfährt in Deutschland zu wenig Wertschätzung. Eine allgemeine, öffentliche Aufwertung des Berufs, verbunden mit strukturellen Reformen, um engagierte Lehrkräfte auch monetär besser zu entlohnen, wäre ein wichtiger Schritt, um junge, motivierte Köpfe in die Klassenzimmer zu holen!

Digitalpakt 2.0.

Wir stehen kurz davor, einen fatalen Fehler zu begehen. Sollte der Digitalpakt ohne Nachfolger bleiben, laufen wir Risiko, dass dieser eine massive Steuerverschwendung wird und wir mit der Digitalisierung in Schulen keinen Schritt weitergekommen sind.

Dabei wäre gerade in an Anbetracht der Pisa-Ergebnisse ein digitaler Schub in den Schulen so wichtig. Mehr Digitalisierung heißt nämlich auch, dass Lehrkräfte den individuellen Bildungsstand der Schüler:innen besser im Blick haben. Digitale Lehrmittel machen es außerdem einfacher, individuelle Lernpfade für Kinder aufzuzeigen.

Aber woran scheitert es? Der Digitalpakt 1.0 hat die Schulen mit der nötigen Hardware ausgestattet. Das ist ein wichtiger Schritt. Wir alle wissen aber, mit einem Computer im Klassenzimmer ist es noch lange nicht getan. Der Digitalpakt 2.0 muss Digitalisierung diesmal ganzheitlich angehen und sollte sich auf länderübergreifende Zusammenarbeit fokussieren. Dafür braucht es unter anderem:

  • Planungssicherheit für die Schulen über Anschlussfinanzierung
  • Einen bundesweiten App Store für zertifizierte Lernsoftware
  • Fortbildungen für Lehrkräfte
  • Digitale Diagnostiktools zur Erhebung des Lernstandes in den Klassen
  • Regelmäßige Wartung der Geräte

Sollten wir hier nicht nachlegen, müssen wir uns eingestehen, dass die Digitalisierung an Schule depriorisiert wurde und damit zum Scheitern verurteilt ist. Das können wir nicht wollen. Hier herrscht ganz dringender Handlungsbedarf.

Mentale Gesundheit in der Schulen

Schule macht krank. Laut einer Reportage des NDR beobachten Lehrkräfte einen massiven Abfall der mentalen Gesundheit von Jugendlichen:

  • Etwa ein Drittel der Jugendlichen hat Ängste in der Schule.
  • Zwischen 2019 und 2022 sind Essstörungen bei Schüler:innen um 107 Prozent gestiegen
  • Im gleichen Zeitraum gab es einen Anstieg um 44 Prozent bei Angststörungen

Auch Pisa bestätigt: ein Grund für die schlechten Ergebnisse, sei unter anderem die Angst vor dem Fach Mathematik. Das hängt vor allem mit den Nachwirkungen der Pandemie zusammen. Die Lernrückstände wurden nicht richtig aufgefangen, viele Jugendliche fühlen sich überfordert. Junge Menschen berichten außerdem von Überforderung mit den Krisen der Welt.

Schule muss ein Ort des Wachsens sein. Das gilt nicht nur für inhaltliche Kompetenz, sondern auch für die menschliche Entwicklung. Ganz besonders, da “Resilienz” eine der Top “Future Skills” des WEF ist. Es ist daher unerlässlich, dass wir aus der Schule einen Ort machen, in dem junge Menschen lernen, mit Stress und emotionaler Belastung umzugehen, sie bestärken und auffangen, anstatt immer mehr von ihnen zu verlangen.

Dabei liegen hier jede Menge Lösungsangebote auf dem Tisch. Eine Vielzahl an Apps und Tools kann es Lehrer:innen ermöglichen, das mentale Wohlbefinden der Kinder mit in den Blick zu nehmen. Das estnische Startup Clanbeat zum Beispiel, das regelmäßige “Mental Health Checks” ermöglicht und Lehrerinnen darauf hinweist, wenn es einem Kind nicht gut geht. Oder der Krisenchat, an den sich Kinder und Jugendliche jederzeit kostenlos und digital wenden können.

Fazit

Die Pisa-Studie muss für die deutsche Bildungspolitik nun wirklich der allerletzte Weckruf sein. Wie oben bereits genannt, macht das ifo klar: Unser Bildungsrückstand könnte nicht nur eine menschliche Katastrophe, sondern auch ein veritables Standortrisiko werden!

Bei all diesen Herausforderungen ist noch nichts verloren. Die Lage ist schwierig, ohne Zweifel, aber es gibt noch Handlungsspielraum. Und eine Sache hat mich die Elterngeld-Petition gelehrt: Unsere Demokratie lebt. Sie mag komplex und beizeiten schwerfällig wirken, aber sie lässt sich bewegen. Mit diesem Jahresrückblick möchte ich somit Mut machen, sich für die Zukunft unseres Landes, Bildung und unsere Kinder stark zu machen.

Mein eindringlichster Appell gilt jedoch der Politik: verspielt unsere Zukunft nicht! Die Krise ist da und ihre Folgen sind weitreichend. Deswegen müssen wir jetzt handeln!