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Der gescheiterte Bildungsgipfel von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger vergangene Woche in Berlin steht sinnbildlich dafür, was im deutschen Bildungssystem gerade alles falsch läuft:

Viele Worte, wenig Taten.
Gut gemeint, schlecht gemacht.

Und gebremst von politischen Eitelkeiten und Befindlichkeiten (die meisten Kultusministerinnen und Kultusminister sind gar nicht erst erschienen).

Dabei braucht es gerade jetzt einen echten Wumms, um die Bildungsrepublik Deutschland zu reanimieren. Also: Wiedervorlage. Aber dann bitte richtig.

Über 50 Stiftungen, Verbände und Akteure des deutschen Bildungswesens haben sich hinter dem Appell „Für einen Nationalen Bildungsgipfel“ zusammengeschlossen und eine grundlegende Strukturreform des Bildungswesens gefordert.

Nie war der Zeitpunkt besser, um das Thema „Bildung“ auf die große Bühne zu heben.

Nie war der Druck auf das System so groß. Wir müssen handeln! Fangen wir also am besten ganz oben an.

Der nächste Bildungsgipfel muss im Kanzleramt stattfinden und längst überfällige Strukturreformen in unserem Bildungswesen angehen.

Wenn Regierungschef Olaf Scholz mit dem Titel „Zeitenwende Bildung – Wie wir die Bildungsrepublik Deutschland zum Leben erwecken“ – ins Kanzleramt einladen würde, wäre klar, dass es nicht darum gehen darf, öffentlichkeitswirksame Fotos zu machen und in Reden und auf Panels zu erzählen, was alles gut läuft, sondern dass alle mit dem Anspruch zusammenkommen, das System grundsätzlich neu aufzustellen statt nur die Löcher zu stopfen.

Das Ziel eines solchen Nationalen Bildungsgipfels müsste sein, konkrete Lösungen für die größten Probleme in unserem Schulsystem vorzuschlagen und dann das Budget zu bekommen, diese auch in die Tat umzusetzen.

Sechs konkrete Punkte möchte ich nennen.

1. Lehrkräftemangel kreativ begegnen

Im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine repräsentative bundesweite Befragung unter Schulleiterinnen und Schulleitern allgemeinbildender Schulen durchgeführt. Das Ergebnis ist eindeutig: Mehr als zwei Drittel der Befragten (69 Prozent) sehen den Lehrkräftemangel als das zentrale Problem an ihrer Schule.

Also haben wir hier den größten Handlungsbedarf. Denn ohne ausreichend Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiterinnen und Schulleiter können wir uns die tollsten Sachen für unser Bildungssystem ausdenken – sie werden nicht umsetzbar sein. Lehre bleibt dann eine Leerstelle. Aktuell fehlen bereits 40.000 Lehrkräfte in Deutschland. Bis 2030 soll diese Zahl – je nach Szenario – auf mindestens 59.000 Lehrkräfte anwachsen, so das Institut der deutschen Wirtschaft. Bildungsexperte Klaus Klemm prognostiziert sogar einen Mangel von 85.000 Lehrkräften.

Alle Projekte, Ideen und Prototypen, die bereits daran arbeiten, dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, bekommen beim Gipfel die größte Bühne und Budget für die Skalierung.

Ein Beispiel: Konsequent müssen alle Pädagogen, die im Bildungssystem in Verwaltungs- und Koordinationsjobs eingesetzt werden, in die Lehre gezogen werden.

2. Bürokratie-Moratorium

Der größte Schmerz jenseits des Fachkräftemangels im System ist die erdrückende Bürokratie.
97 Prozent der Schulleitungen fühlen sich laut einer Statista-Umfrage durch steigende Verwaltungsarbeiten stark oder sehr stark belastet. Was der Staat bei der Lehrkräfteausbildung also zu wenig macht, macht er hier zu viel.

Schulsysteme werden immer mehr zu Verwaltungsapparaten statt Orten des Lernens. Thomas de Maizière, der frühere Bundesinnenminister und Vorsitzende der Telekom-Stiftung, hat einen mutigen und sehr richtigen Vorschlag gemacht. Er appelliert an die Kultusminister, die kleinteiligen Verwaltungsvorschriften für Schulen einfach auszusetzen.

Die Schulen ersticken in Vorschriften. Ein Moratorium lässt sie wieder atmen und sich auf das konzentrieren, wozu wir sie brauchen: die Ausbildung der Kinder.

3. Mehr Autonomie an den Schulen

Ein Verwaltungs-Moratorium für die Schulen, gepaart mit dem Vorstoß, ihnen mehr Verantwortung für Personal und Budget zu geben wäre ein Befreiungsschlag.

Eine solche Initiative könnte – öffentlichkeitswirksam – beim Kanzler-Gipfel unterschrieben werden. Politikerinnen und Politiker sollten sich keine Sorgen machen, dass die Schulen danach nicht wüssten, was sie machen sollen oder dürfen.

Das Lehrpersonal und die Schulleitung könnte sich einfach wieder ihrer Schule zuwenden, die Probleme und Themen vor Ort lösen, statt Verwaltungsvorgaben zu erfüllen, die Schule kein bisschen besser macht (Beispiel: ellenlange Medienentwicklungspläne, die zum Abruf der Digitalpaktgelder nötig waren mit dem Erfolg, dass die Geräte jetzt dennoch nicht im Unterricht eingesetzt werden, weil die Pläne viel zu abstrakt und realitätsfern und längst veraltet sind).

4. Digitalisierung als Chance

Die digitale Schule ist kein Schreckensszenario, sondern eine Notwendigkeit. Aber sie muss auch als Chance verstanden werden. Pro Schule wurden im Digitalpakt durchschnittlich 175.000 Euro für die Digitalisierung ausgegeben. Für 500 Millionen Euro wurden Dienstgeräte für Lehrkräfte an den Schulen verteilt.

Aber was hilft das Gerät, wenn die Transparenz über die Software, die genutzt werden darf, fehlt. Auch die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer auf den Geräten muss angeboten werden. Diese ist essentiell im Kampf gegen den Lehrkräftemangel. Denn individuelle Lehrpläne auf den Geräten entlasten den Lehrer und die Lehrerin. Klassen können vergrößert werden, eine Lehrkraft für mehr Lernende zuständig sein.

Die Wissensvermittlung muss nicht mehr komplett über sie laufen. Sprachbarrieren, Lernschwächen oder -einschränkungen können durch digitale Geräte aufgefangen werden. Ausfallstunden führen nicht dazu, dass hinterher noch mehr auf dem Tisch der kranken Lehrerin liegt, sondern Schülerinnen und Schüler können eigenständig weiterarbeiten.

Außerdem kann Digitalisierung die Schulleitungen von administrativen Tätigkeiten entlasten und die Verwaltungsarbeit reduzieren, damit sich die Lehrer mehr auf den Unterricht konzentrieren können.

Digitalisierung kann auch die Unterrichtsvorbereitung effizienter machen, so dass dort wichtige Stunden frei werden.
Wer die Digitalisierung in den Schulen bremst, zerstört ihre Zukunft.

5. Bund-Länder-Strukturen aufbrechen

Ein wichtiger Punkt für eine Revolution in der Bildungsrepublik ist ein mutiger Schritt bei der Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Schulträgern, Schulleitungen, Städtetag, Schulaufsicht und wer noch alles so rund um Schule mitreden darf.

Ein klarer, neuer Katalog, wer was darf und wer bei welchem Thema schnell selbstständig entscheiden darf, müssen Bestandteil eines Nationalen Bildungsgipfels sein.

6. Gründen wir ein Lehre-Ministerium!

Und als Zeichen vorab, damit die Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder sich nicht wieder Ausreden ausdenken, warum sie für einen Bildungsgipfel keine Zeit haben, nur weil der Einladende der Bund ist, könnte folgende Ankündigung große Wirkung entfalten:
Ab dem 1. Januar 2024 wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung umbenannt in Bundesministerium für Forschung und Lehre.

Damit wird endlich klar, dass das Bildungsministerium nicht für Schulbildung zuständig ist und wir aufhören die Länder aus ihrer Verantwortung zu entlassen, Schule von Anfang an (Lehrkräfte ausbilden und einstellen) bis Ende (Schultoiletten sanieren) zu denken und umzusetzen.

Damit würden die Bürger nicht mehr auf eine Ansprache der Bildungsministerin zur Schulmisere warten müssen und die Kultusministerinnen und Kultusminister könnten aufhören, sich dafür zu feiern, nicht zu Bildungsgipfeln zu gehen.
Stattdessen müssten sie ihre Zeit nutzen, einen Masterplan zu präsentieren, wie sie die Strukturreform des deutschen Bildungswesens umsetzen wollen.
Und es dann einfach mal tun.

Fazit: Eine Bildungsreform ist eine Gesellschaftsreform und ein Wohlstandskonzept.

Von der Qualität unseres Bildungssystems sind 11 Millionen Kinder, ihre 22 Millionen Eltern, ca. 800.000 Lehrkräfte und Schulleitungen sowie die Hochschulen, die Volkswirtschaft und am Ende die gesamte Gesellschaft betroffen.

Zeit, dass wir das Thema endlich ernst nehmen.

Dieser Artikel ist zuerst bei The Pioneer erschienen.