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Am Freitag wurde auf Gründerszene ein Artikel über Delia Lachance, Gründerin des börsennotierten E-Commerce-Unternehmens Westwing, veröffentlicht. Anlass des Artikels war die Meldung des Unternehmens, dass die Gründerin ihr Vorstandsmandat vorübergehend niederlegt, um in Mutterschutz und Elternzeit zu gehen.

Das hat mich stutzig gemacht.

Warum muss eine Vorständin ihr Mandat niederlegen, weil sie ein Kind bekommt? Gibt es keinen anderen Weg die Haftung während ihres Mutterschutzes und der Elternzeit ruhen zu lassen als zurückzutreten?
In der Meldung von Westwing steht dazu:

Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sehen für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften aktuell nicht die Möglichkeit vor, Mutterschutz sowie Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund ist Delia Lachance zum 1. März 2020 von ihrem Amt als Vorstandsmitglied zurückgetreten.

Wie bitte?

Wir schreiben das Jahr 2020 und sehen keine gesetzlichen Möglichkeiten vor, dass eine Vorständin eine Babypause macht, ohne ihr Mandat niederlegen zu müssen? Außer wenn sie auf Mutterschutz verzichtet und durcharbeitet? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Lese ich jetzt zum ersten Mal über das Thema, weil Delia die erste schwangere Vorständin eines börsennotierten Unternehmens in Deutschland ist? Oder leben wir einfach stillschweigend mit diesen rechtlichen Rahmenbedingungen, weil die Fallzahl zu niedrig ist und sich noch niemand beschwert hat? Es also auch noch niemand bisher für nötig befunden hat proaktiv diese rechtlichen Rahmenbedingungen auf ein modernes Frauenbild anzupassen. 2018 wurde zwar das Mutterschutzgesetz, das von 1952 stammt, reformiert, ja. Für Selbstständige und Gründerinnen, Geschäftsführerinnen oder eben Vorständinnen aber nicht wirklich angefasst.

Nun stelle ich mir die Frage, wie der gleiche Sachverhalt eigentlich bei Aufsichtsrätinnen börsennotierter Unternehmen geregelt ist.

Ich bin Aufsichtsrätin der börsennotierten comdirect bank AG und in einem Alter, in dem ich theoretisch noch ein Kind bekommen könnte. Was wäre denn dann? Müsste ich mein Mandat niederlegen, weil ich sonst während meines Mutterschutzes und der Elternzeit für Beschlüsse haften würde, die in meiner Abwesenheit getroffen wurden?

Wahrscheinlich ja.

Denn enthalten dürfte ich mich bei Beschlüssen nicht, da Enthaltung nicht zur Enthaftung führt. Und was passiert eigentlich, wenn ich Mutterschutz-bedingt ausscheide, nachdem ich vorher über Monate sorgfältig ausgewählt, auf Qualifikation (in meinem Fall sogar durch die BAFIN) geprüft, eingearbeitet wurde und Teil des Aufsichtsrats war? Würde dann für die Dauer meiner Abwesenheit ein neues Aufsichtsratsmitglied bestimmt und eingearbeitet werden, um dann ein paar Monate später wieder auszuscheiden? Oder übernimmt der/die Aufsichtsratsvorsitzende/r meine Stimme?

Warum könnte ich mein Mandat nicht für die Dauer meines Mutterschutzes und meiner Elternzeit ruhen lassen und dieser Ruhezustand würde offiziell anerkannt und bedeuten, dass meine Enthaltung während der Dauer meiner Abwesenheit auch zu meiner persönlichen Haftungsfreiheit führt. Im Sinne des Unternehmens könnte man die maximale Dauer der Elternzeit ja auf z.B. 3 oder 6 Monate nach Geburt begrenzen, um sicherzustellen, dass der Aufsichtsrat nur für einen kurzen Übergangszeitraum nicht vollständig wäre.

Trotz sehr langer Recherche habe ich keine Antworten auf diese Fragen gefunden. Und keinen einzigen Fall einer schwangeren Aufsichtsrätin anhand dessen ich mir die Antworten auf meine Fragen hätte ableiten können. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) schreibt dazu nur: „Mitglieder eines Betriebsrats, Personalrats oder Aufsichtsrats sind in ihrer Funktion keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, daher gelten für sie in dieser Funktion auch nicht die Regelungen der Elternzeit.“

Also stelle ich hier jetzt mal die steile Hypothese auf, dass die Regelung bei schwangeren Aufsichtsrätinnen exakt so ist wie bei schwangeren Vorständinnen. Nämlich, dass sie ihr Mandat niederlegen müssen, wenn sie in Mutterschutz und Elternzeit gehen und während dieser Zeit von der Haftung befreit werden wollen. Ein Alles-oder-Nichts-Prinzip also.

Und das kann ja wohl nicht unserem Bild von Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert entsprechen.

Daher nutze ich den heutigen International Women´s Day um eine Diskussion zu diesem Thema in Gang zu bringen. Und für mich gibt es dann genau zwei Möglichkeiten:

Entweder kommt bei der Diskussion raus: Verena, alles gut, du hast unvollständig recherchiert, es ist alles geregelt, man muss nicht niederlegen und für Aufsichtsrätinnen ist das eh unkritisch. Sie können auch trotz Babypause weitermachen und in der Zeit von der Haftung befreit werden.

Oder es kommt raus: Shit, Verena, du hast Recht. Es ist tatsächlich nicht möglich ein Baby zu bekommen und Vorständin oder Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens zu bleiben (wenn man nicht auf seinen Mutterschutz verzichten oder während seiner Abwesenheit haften möchte).

Wenn das der Fall wäre, würde ich – hoffentlich mit Hilfe der AllBright Stiftung, FidAR, des Deutschen Startup-Verbandes und namhafter Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen – alles dafür geben, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert werden und Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen während ihres Mutterschutzes und ihrer Elternzeit von der Haftung befreit würden, ohne ihr Mandat niederlegen zu müssen.

Die Diskussion ist eröffnet! Happy International Women´s Day!

* Natürlich sind tausende von selbständigen Frauen und Geschäftsführerinnen jedes Jahr ebenso betroffen, denn für sie greift das Mutterschutzgesetz nicht und sie müssen ihren Beruf rein theoretisch in dieser Zeit wie gewohnt ausüben. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihr Mandat nicht öffentlichkeitswirksam niederlegen müssen, sondern „im Amt“ bleiben dürfen, was eine ebenso herausfordernde Situation darstellt.

Diesen Artikel habe ich zusätzlich auf LinkedIn veröffentlicht.